Jubiläumssymposium BVMA: Der Patient im Mittelpunkt der aktuellen Entwicklungen

In München, dem Gründungsort des Bundesverbandes Medizinischer Auftragsinstitute e. V. (BVMA), brachte das 25. Symposium unter ...

In München, dem Gründungsort des Bundesverbandes Medizinischer Auftragsinstitute e. V. (BVMA), brachte das 25. Symposium unter dem Motto „Klinische Forschung im europäischen Wandel: Patients first!“ rund 300 Teilnehmer aus der Gesundheitsbranche zusammen. Das Vertretungsorgan der deutschsprachigen CROs (Clinical Research Organizations = Klinische Auftragsforschungsinstitute) vermittelt mit der Veranstaltung jährlich Weiterbildungsinhalte aus dem Bereich Klinische Forschung und stellte in der Jubiläumsauflage viele Themen rund um den Patienten in den Vordergrund.

Dr. Dagmar Chase, Dr. Michael Gierend und Martin Krauss vom bisherigen BVMA-Vorstand eröffneten am Vorabend im Deutschen Museum in feierlichem Ambiente des Ehrensaales das Symposium. Die Pharmazieexpertin Prof. Dr. Barbara Sickmüller, nach zahlreichen verantwortlichen Funktionen für den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI) und weiteren Organisationen inzwischen im Ruhestand, jedoch weiterhin beratend aktiv, beglückwünschte den BVMA zu seinem Jubiläum: Standen beim Verbandsstart 1991 die ersten „standardisierten Arbeitsanweisungen“ (SOPs) und Audits im Mittelpunkt, so bestimmen heute neben der aktiven Mitgestaltung des rechtlichen Umfeldes der Arzneimittelentwicklung vor allem informative Fortbildungen mit Neuigkeiten zum regulatorischen Umfeld und aktuelle Good Clinical Practice-Themen (GCP) die Aktivitäten des mittlerweile 43 Mitglieder starken Verbands.

Wohin geht die Reise?

Prof. Dr. Tobias Gantner beschrieb als erster Redner die Trends, mit denen die Reise der Branche in die Zukunft führt. Aus der Vergangenheit habe man gelernt, wie wenig linear die Entwicklung sei – ganz im Gegenteil zeige sich die Zukunft als unvorhersehbar. Auch wenn die Technik oft schon realisiert sei, verhinderten Regularien häufig den Fortschritt. Größte Bremse für den Digitalen Wandel seien funktionierende Geschäftsmodelle und die bestehende Positionierung von Ärzteschaft, Pflege und Pharmaindustrie. Er stellte in den Raum, dass das Ende der konventionellen Entwicklungs- und Marktkette hin zum Blockbuster nahe sei und prophezeite, dass künftig gegebenenfalls die Patienten selbst die Arzneimittelhersteller beauftragen werden. Der „Healthcare Futurist“ erklärte weiter, die Technik müsse sich mehr um die Akteure herum aufstellen. Zudem forderte er mehr Willen zur Innovation. Es gebe heute fast schon mehr Akzeleratoren als Startups, viele Unternehmen hielten sich aus Marketing- oder Imagegründen „Streichelzoos mit Jungunternehmen“, stellten aber ihr „running system“ mit bestehenden Angeboten nicht infrage.

Brexit und Regularien

Auch der Brexit stand auf der Tagesordnung – mit dem Ausmaß der Konsequenzen für die betroffenen Parteien im klinischen Forschungsumfeld. Laut Dr. Ulrich Granzer, Granzer Regulatory Consulting & Services, herrscht bei der Arzneimittelentwicklung in Europa eine enorme Unsicherheit aufgrund des britischen EU-Austritts. Je nachdem, ob der Brexit „soft oder hart“ wird, sei die Zulassung neuer Arzneimittel in Großbritannien entweder unabhängig mit der Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA, medizinische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel in Großbritannien) als Drittlandbehörde oder als „EEA Approach“ (EEA: European Economic Area, europäischer Wirtschaftsraum) machbar. Auf jeden Fall stehe ein Umzug aller Gremien nach Amsterdam an, die Amtssprache bleibe weiter Englisch. Auch wenn die Zulassungsverfahren weiterlaufen, gebe es doch viele offene Fragen.

Updates zum regulatorischen Umfeld stellte Prof. Dr. Barbara Sickmüller aus der EU und dem Internationalen Gremium zur Harmonisierung von Zulassungsanforderungen (ICH) vor. Hier ging es um die Optimierung der „Safety Data Collection“ in der Forschung; sie sei in Zukunft risikobasiert möglich und brauche hierzu eine klare wissenschaftliche Begründung sowie überarbeitete SOPs. Das Ziel „Patients first“ müsse noch mehr im Vordergrund stehen. Zur Medical Device Regulation (MDR) sei die Übergangsfrist zu knapp, monierte die Expertin.

Gabriele Schwarz, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), stellte die Hot Topics in Bezug auf GCP vor: In den von der GCP Renovation betroffenen Guidelines werden künftig zusätzlich zu Daten von „randomized controlled trials (RCTs)“ auch „real world data“ und Patientenregister berücksichtigt: Vieles sei in Bewegung, unter anderem bearbeite das Institut die Vorgaben für die Umsetzung von Inspektionen, sowie weitere Dokumente, die der Implementierung der neuen EU Verordnung 536/2014 zur klinischen Prüfung dienen.

Dr. Lars Nickel aus dem Bundesgesundheitsministerium forderte eine gegenseitige Rücksichtnahme analog zum Straßenverkehr: Bundesoberbehörden und Ethik-Kommissionen sollen im Kontext der Verfahrensordnung zur Bewertung klinischer Prüfungen zusammenarbeiten und gemeinsam auf effektive Verwaltungsverfahren hinwirken. Die Grundlage zu den neuen Verfahren, die EU Verordnung 536/2014 wird voraussichtlich 2019 mit Übergangsregelungen zur Anwendung kommen.

Prof. Dr. Joerg Hasford von der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärte, der Geschäftsverteilungsplan für registrierte Ethikkommissionen (EK) werde 2018 wie geplant vorgelegt, dabei umfasse er heute 36 registrierte EK. Der genaue Zeitpunkt für den Start des neuen Systems sei hingegen noch unklar.

Nicht einwilligungsfähige Patienten

Der nicht einwilligungsfähige Patient wurde am Nachmittag aus verschiedenen Sichtweisen beleuchtet: regulatorisch, ethisch, ärztlich und aus dem Blickwinkel der Patientenvertreter. Letztere veranschaulichten die realen Probleme von Patienten mit Demenz oder Alzheimer.

Sabine Mayer-Dölle, TrotzDem e. V., empfahl, die Demenzforschung neu aufzustellen. Interdisziplinarität und Umbewertung seien dringend nötig, man müsse sich an den Bedürfnissen der Patienten ausrichten und sich die Frage stellen, was ein gelingendes Leben ausmache.

Die Durchführung klinischer Prüfungen mit nicht einwilligungsfähigen Patienten sei schwierig, so PD Dr. Oliver Peters von der Charité – Klinik für Psychatrie und Psychotherapie. Er forderte mehr Forschung für künftige Demenzkranke statt an bereits Erkrankten. Auch Patientenvertreter Jochen Wagner bestätigte, die Studien-Einwilligung Demenzerkrankter solle nicht gleich in der Situation der Diagnosemitteilung erfragt werden. Die Verantwortlichen sollten den Probanden eine ehrliche Einschätzung der Chancen geben und auch auf die Möglichkeit der Placebogabe hinweisen.

Prof. Dr. Joerg Hasford bestätigte, die Hürden für klinische Prüfungen mit nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen seien weiter hoch. Ob Vorausverfügungen praktikabel sind, werde sich noch zeigen. Erforderlich seien konsensfähige Lösungen für ethische Probleme.

Einig waren sich die Patientenvertreter darin, dass Menschen mit Demenz Wertschätzung gezeigt bekommen müssen und nicht nur als Datengeber ausgenutzt werden sollten. Denn es habe sich erwiesen, dass Medikamente derzeit noch eher wenig helfen, wichtiger seien den Alltag aufrechterhaltende Rituale – und ferner ein menschenwürdiges Sterben.

Weitere Guidelines und Ausblick

Die neue “First in Human“-Richtlinie diene dem Schutz des Menschen in der Arzneimittelentwicklung, betonte Dr. Alexander Kainz, Novartis. Das Inkrafttreten im Februar 2018 habe hierzulande keine Auswirkungen, da die Umsetzung bereits erfolgt sei. Prof. Dr. Thomas Sudhop vom BfArM ergänzte, das Restrisiko von Studien müsse im angemessenen Verhältnis zu den Vorteilen stehen, schwerwiegende Schadensfälle sollten durch Einhaltung von Vorgaben, beispielsweise Stopping Rules, verhindert werden.

Thorsten Ruppert vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) betonte in seinem Update zum Strahlenschutzgesetz, die Regelansätze seien gut und strukturiert, aber man müsse abwarten, wie sich die Änderungen auf die Praxis auswirken.

So endete das Jahressymposium mit praxisrelevanten Informationen, plausiblen Perspektiven und einem intensiven Erfahrungsaustausch. Dr. Dagmar Chase dankte den Referenten und allen Teilnehmern, der im Vorfeld des Symposiums neu als Vorstandsvorsitzende des BVMA gewählte Martin Krauss schloss sich dem in seinem Schlusswort an. Am Vortag wurden neben Krauss ferner Ralf Freese und Dr. Yvonne Rollinger in den Vorstand gewählt. In Zukunft sollen die Mitglieder des Verbandes stark vernetzt und die Repräsentanz des Verbandes auf europäischer Ebene gefördert werden. Ein weiteres aktuelles Thema ist die Digitalisierung im Pharmabereich, durch die der kontinuierliche Informationsaustausch zwischen Mitgliedern, Behörden, Ethikkommissionen, Industrie und Interessenverbänden sowie die Attraktivität des Forschungsstandorts Deutschland weiter erhalten und ausgebaut werden soll.

Das nächste BVMA-Symposium findet am 23. November 2018 in München statt.

Bildcredits: unsplash

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